Die Kunst des Materialkampfes

Rund um den Mittsommertag Ende Juni machte sich der Alpinkader auf den Weg nach Ettringen, um vom Big-Wall-Großmeister Alex Schmalz-Friedberger in den Künsten des technischen Kletterns unterrichtet zu werden.

Die ersten Leiter-Schritte

Ziel war es, in 3 Tagen alles Wichtige in Erfahrung zu bringen, was man in den großen Wänden braucht, um sich, inklusive kompletter Kletterausrüstung und Verpflegung, in einem Kampf mit Fels und Eisen von Biwak zu Biwak vorzuarbeiten und um schließlich, erleichtert wie ein Gülle-Taucher, oben auszusteigen und nach Luft zu schnappen. Also trafen wir uns freitagmorgens auf dem großen Parkplatz von Ettringen, alle mit nach Kaffee bettelnden Gesichtern und mit Schlafsand verstaubten Augen. Mit einem Kaffee in der Hand und (daher) gut gelaunt wartete Alex vor seinem Auto auf uns. Der Autor des Führers „Schwarze Säulen“ und massenhafter Erschließer in Ettringen ist ein drahtiger Mann, mit abgewetzter Basecap und von etlichen groben Felskontakten geflickter Hose. Sein von Abenteuern gezeichnetes Gesicht lässt einen die vielen wilden Geschichten aus den großen Wänden erahnen. Wie wir die nächsten Tage feststellen durften, ist Alex nicht nur ein echt harter Hund, sondern auch ein echt cooler Typ. Nachdem noch schnell der eine 

oder andere Power-Kaffee gebrüht wurde, liefen wir mit einem Metallberg auf dem Rücken zur Dürener Wand, die für den restlichen Tag unser Trainingsspot werden sollte. Zunächst standen absolute Basics auf dem Programm: Daisy-Chain an den Gurt, Karabiner an die Daisy-Chain, Leiter an den Karabiner; den kleinen Aluminiumhaken mit dem Hundenamen „Fifi“ noch in die Anseilschlaufe und schon steht das Grundgerüst. Alex gab uns noch ein paar Tipps, welche Cam-Größen wir brauchten, und schon stiegen wir in unsere erste technische Route ein. Cam setzen, Bounce-Test machen (d.h. das gesetzte Placement dynamisch auf seine Vertrauenswürdigkeit prüfen), wenn die Sicherung hält, zunächst die erste Leiter einhängen, Fifi dazu und dann die zweite Leiter. Die Leitern so hoch steigen wie es geht und mit voll ausgefahrenem Clipstick-Arm den nächsten Cam setzen.

Von neuen Gedanken

14 Cams und mindestens ein Liter Schweiß später stand der Erste oben am Umlenker. Das war anstrengend. Und das Ganze ohne echten Felskontakt. Hatte das überhaupt noch etwas mit Klettern zu tun? Der gedankliche Schritt vom freien Rotpunktklettern und dem schnellen Alpinstil in den Alpen hin zum langsamen und beschwerlichen Techno-Klettern ist zunächst nicht ganz einfach. Man muss sich mit einer ganz neuen Kletterethik anfreunden und seinen eigenen Spirit etwas umstrukturieren. Das technische Klettern eröffnet jedoch ganz neue Möglichkeiten, die weit über das Wegschummeln von einzelnen Schlüsselstellen hinausreichen. Wer eine Route wie die Nose am El Capitan ohne technische Hilfsmittel bewältigen kann, der fühle sich frei dies auch zu tun. Der überbleibenden Mehrheit, der das jedoch verweigert bleibt, steht nun allerdings jeder einzelne Kunstgriff des Techno-Kletterns zur Verfügung, um eine solche Wand zu bezwingen. Und eben das charakterisiert das

auch als Aid-Klettern bezeichnete Techno-Klettern: Neben viel Schweiß, Blut und Anstrengung geht es darum, aus einem beinahe unendlichen Repertoire an Möglichkeiten seinen eigenen, passenden Weg zu finden, sich mit Hilfe von Cams, Keilen, Ballnuts, Schlaghaken, Skyhooks, Peckern und vielem mehr die Wand hochzuschuften. Und so endeckten wir nach der zweiten Route auch alle schon den besonderen Charakter dieser Art der vertikalen Fortbewegung und wurden langsam heiß auf Schwierigeres. Neben Routen, die wir uns fast ausschließlich mit Peckern, Haken und ähnlichem Material hochnageln mussten, jagte Alex uns auch im Toprope durch aalglatte Wände, die erst bei genauerem Hinsehen millimeterkleine Leisten für Skyhooks bereithielten. Abgeschlossen wurde der Tag big-wall-getreu in zwei Portaledges, die für die kommende Nacht unsere luftige Herberge darstellten.

The little ones go big

Für den nächsten Tag stand Big-Wall-Logistik auf dem Plan, also das Nachziehen des Haulbags via Körperhub oder, wenn die Wohnzimmergarnitur doch nicht zu Hause bleiben konnte, per Flaschenzug. Ein paar Seile mehr am Stand, wodurch Materialorganisation noch wichtiger wird, und noch ein Schweißtropfen mehr, aber ansonsten kein Hexenwerk, wenn man mit alpinen Sicherungstechniken vertraut ist. Auch die Technik des „Lower-Out“, das Sich-selbst-Ablassen beim Nachstieg mit Steigklemmen in Querungen, verinnerlichten wir alle schnell und freuten uns über jede von Alex´ Anekdoten. 

Am Sonntag stand zu guter Letzt noch eine schwere Techno-Route für jeden bereit und ein kleiner Crashkurs zum Thema Bohren. Die Techno-Route „Girls Club“ war ein langer dünner Riss, der unseren neu erworbenen Fähigkeiten alles abverlangte und einige Griffe in die Trickkiste erforderte. Doch nach diesem psychischen Machtkampf mit der Wand war auch diese Herausforderung geschafft und es gab ein durchaus begeistertes Lob vom Meister himself. Wie versprochen zeigte Alex uns jetzt noch die verschiedenen Varianten, eine Route mit Haken zu versehen. Neben der Makita für schnelle Nummern bohrten wir auch unsere ersten Löcher mit dem Handbohrer, was neben schmerzenden Unterarmen auch ein anderes Bewusstsein für das Hakensetzen hinterließ.

Der Beginn von Großem

Alles in allem ein absolut gelungenes Wochenende. Trotz anfänglicher Skepsis dem neuen

Stil gegenüber waren wir nach den drei Tagen alle hoch motiviert, unser neues Können an den Fels bzw. ans Metall zu bringen. Das technische Klettern hat einen ganz anderen und neuen Charakter als all die anderen Sachen, die wir vorher gemacht haben. Lässt man sich jedoch auf diesen nervenzehrenden Stil ein, erweitert man den eigenen Horizont des Kletterns und erlangt die Möglichkeiten, die höchsten und wildesten Wände zu durchsteigen, die es gibt.