Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

Sepp Herbergers legendärste Fußballer-Weisheit lautet: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!“ – Was hat das denn mit Bergsport zu tun?

Nachdem die erste Runde des DAV Alpinkader NRW im letzten Jahr mit der Expedition nach Kirgistan ihren erfolgreichen Abschluss fand, war es in diesem Jahr Zeit für die nächste Runde. Der Corona-Pandemie trotzend startete im Juni die Bewerbungsphase für die zweite Runde des Alpinkaders. Mädels und Jungs aus ganz NRW waren über die Social Medias, über Mundpropaganda und über Plakate in den Kletterhallen aufgerufen sich zu bewerben.

Für uns, das Trainerteam, war es natürlich eine große Abwägung, ob wir inmitten der Corona-Pandemie ein Bewerbungs- und Sichtungsverfahren durchführen sollen. Doch dank Andree, unserem Expeditionsarzt, und dem umfassenden Hygienekatalog des Alpenvereins entstand in kurzer Zeit unser individuelles und eigenes Hygienekonzept im Einklang mit der geltenden Corona-Schutzverordnung Rheinland-Pfalz. Deutsche Risikogebiete gab es noch nicht und das allgemeine Infektionsgeschehen war „gering“. Wir waren also vorbereitet und willens.

Am 9. Oktober war es soweit und wir empfingen an einem regnerischen Freitagabend 14 Bewerber im Naturfreundehaus Laacher See zur Felssichtung. Nach dem Aufbau der Zelte und einem kurzen Abendessen starteten wir mit einer kurzen Vorstellungsrunde. Nach der Besprechung des Hygienekonzepts u.Ä. folgte der Tagesplan für die ersten zwei Prüfungstage der Felssichtung. Unser Plan ging auf und wir blickten in verblüffte und überraschte Gesichter! Denn entgegen der ersten Felssichtung 2016 sollte diese nun nicht ausschließlich in Ettringen stattfinden. Die Hälfte der Bewerber sollte ihren ersten Sichtungstag in Gerolstein beginnen. Das kam unerwartet für alle Bewerber. Warum wir die Felssichtung in zwei Klettergebieten veranstalten? Das ist eigentlich ganz einfach: Wir sehen die Kletterfähigkeiten nicht nur im Eifeler Basalt, sondern auch im Dolomit bzw. Kalk und das macht es fairer für alle. Denn wem der Basalt nicht so liegt, der kann sein Können im Kalk unter Beweis stellen und hat dort seine Chance.

Nach einer kurzen Nacht war es soweit. In beiden Gebieten lief es ähnlich ab. Nach einer kurzen Einweisung mussten alle Bewerber die vorgegebenen Routen klettern. Diese Routen wurden an den Wochenenden vor der Sichtung von uns Trainern ausgesucht. Auch hier waren wir gut vorbereitet und guckten öfter in verblüffte Gesichter. Los ging es mit moderaten Schwierigkeitsgraden, mal gut abgesichert mit Bohrhaken, mal mutiger abgesichert und mal „clean“ zum Selber-Absichern, also ohne Bohrhaken und Zwischensicherungen. Am Ende des Tages standen dann auch die Highlights der Gebiete, jeweils im neunten Grad, an: die „Freundschaft“ in Gerolstein und „Mut zur Verzweiflung“ in Ettringen.

Müde, aber mit guter Stimmung, ging es am späten Nachmittag zurück zum Laacher Seehaus, wo das Abendessen bereits auf die hungrige Meute wartete. Das Abendprogramm gestaltete sich etwas entspannter. Es folgte ein kleiner Vortrag, in dem Charly und Sascha den Alpinkader NRW als Nachwuchsförderprogramm vorstellten. Neben Bildern und Videos gaben Sascha und Charly auch ein paar Anekdoten zum Besten und Martin berichte anschließend von der Abschlussexpedition nach Kirgistan.

Am zweiten Tag tauschten die Gruppen die Klettergebiete. Der Modus an sich blieb gleich. Auch diesen Tag rundeten zwei Expeditionsvorträge von unseren beiden Bergführern und Ausbildungsleitern Mirjam und Bene ab.

Am dritten Tag mussten wir schon früh los und die Stationen und Hindernisse für den Konditionslauf aufbauen und die Strecke mit den letzten Markierungen versehen. Es stand eine fordernde Laufstrecke bereit. Zu bewältigen waren eine Strecke von 15 km mit knapp 1000 hm und diversen Stationen, die den Bewerbern alles abverlangen sollten. Ja, richtig gelesen, das waren ein paar Kilometer und Höhenmeter mehr als bei der Sichtung 2016. Und wieder wurden neben Ausdauer auch Geschick und Balance sowie die richtige Taktik abgefragt. Die Länge der Strecke wurde vorab bekanntgegeben, sodass jeder seine Taktik darauf abstimmen konnte. Im Abstand von genau sieben Minuten starteten die Teilnehmer und gaben sprichwörtlich alles. Nicht wenige fielen die letzten Meter über die Ziellinie! Für den Rest des Tages bekamen die müden Beine ihre wohlverdiente Pause. Bei Kaffee und Kuchen gab es dann die Auswertung des Laufs. Sie brachte uns Trainern auch positive Überraschungen. Insgesamt haben sich alle Bewerber richtig gut geschlagen, auch wenn zwischen dem Erstplatzierten und dem Letzten eine Differenz von mehr als einer Stunde lag.

Nach zwei Tagen Klettern und dem Konditionslauf stand nun der letzte Vormittag an, mit Mixedklettern bzw. Drytoolen. Für das Klettern mit Steigeisen und Eisgeräten im Fels ging es wieder nach Ettringen, wo wir, nach Abstimmung mit Alex, der das Klettergebiet mitbetreut, in einem kleinen, unerschlossenen Bereich die Eisgeräte wetzen konnten. Im gesicherten Toprope konnten uns die Bewerber Einblick in ihre alpinen Fähigkeiten in den Graden M5 bis M7 gewähren. Wie auch schon der Konditionstest hielt auch diese Aufgabe die ein oder andere positive Überraschung für uns parat. Es war gar nicht so einfach, die Meute dann wieder vom Fels zu lösen, denn es machte allen so viel Spaß, dass keiner damit aufhören wollte.

Aber der Zeitplan war gesteckt und wir Trainer mussten ja noch ein paar Entscheidungen treffen. Für uns ist das natürlich die größte Aufgabe bei dieser Sichtung. Leider können wir nicht alle Bewerber mit in die nächste Runde nehmen und die ersten scheiden leider schon hier aus. Nach unseren Beratungen folgten Feedbackgespräche mit jedem einzelnen Bewerber. Unabhängig vom Weiterkommen war uns das sehr wichtig. Denn insbesondere beim Alpinkader NRW ist genau das unsere eigentliche Aufgabe als Trainer. Wir Trainer sehen die Kleinigkeiten, die Ecken und Potenziale, die man selbst nicht wahrnimmt. Tipps, ehrliches Feedback und auch oft einfach mal das klare und unverblümte Wort, auch wenn man es nicht hören will, sind unsere Werkzeuge, mit denen wir jedem Bewerber helfen, das Beste aus sich rauszuholen und sein Potenzial zu entfesseln. Und Potenzial haben wir in diesen Tagen viel gesehen. Letztlich endete das Sichtungsverfahren für drei Bewerber hier in der Vulkaneifel. Ein weiterer Bewerber, der aufgrund beruflicher Gründe nicht am Konditionslauf teilnehmen konnte, bekommt die Möglichkeit diesen bald nachzuholen und sich noch zu qualifizieren.

Wie geht es nun weiter? Im Februar geht es, sofern sich die Corona-Pandemie bis dahin wieder etwas beruhigt, ins Allgäu zur Eissichtung. Dort stehen dann Winterbergsteigen und Eisklettern auf dem Plan und die finale Entscheidung, wer sich für den zweiten DAV Alpinkader NRW 2021-23 qualifiziert.

Und was hat Sepp Herberger nun mit Bergsport zutun? Ganz einfach, Sepp Herberger hat diese Fußballer-Weisheit ins Trainer-Bewusstsein gebracht. Das Coaching ist eine der wichtigsten Aufgaben des Trainers. Und in der Tat beginnt mit dem Abpfiff bereits die Vorbereitung auf die nächste Begegnung. Und in unserem Sinne heißt das: „Nach der Sichtung, ist vor der Sichtung“.